"Volunteer - Youth - Online"- Reisebericht Murmansk
Donnerstag, 20. Juli 2000
Morgens: ...alles auf den letzten Drücker...ich muß noch Sachen im Koffer verstauen. ...imprägniere noch Jacken und Schuhe...Meinen Sohn habe ich, Gott sei Dank, vor der Abfahrt noch gesehen...
Die Aufregung vor der Reise macht sich nun doch bemerkbar. Ich bin nicht mehr ganz hier und noch nicht fort. Ich werde sogar noch zum S-Bahnhof gebracht. Von Friedrichshagen mit der S-Bahn bis Zoo, dann mit dem Bus zum Flughafen Tegel. FOTO
Die meisten Teilnehmer sind bereits da...gut zu wissen. Die erste Angst ist besänftigt, wir können vollzählig abfliegen. Susanne bringt Juliane und Ulrike, Maria wird von ihrem Vater gebracht,...
Für einige ist es der erste Flug; und dann auch noch gleich nach Russland, mutig, mutig. Aufregung liegt in der Luft.
Einchecken, Einsteigen und Abflug verlaufen normal...Die Gruppe sitzt nicht zusammen in Zweiergrüppchen sind wir im gesamten Innenbereich verteilt. Ich sitze neben Claudio und verquatsche den Flug bis Moskau...Nach 2,45 h sind wir endlich da. Die Ankunft in Moskau ist aufregend.
Erster Eindruck...es ist heiß hier, sehr heiß. In den Hallen des internationalen Flughafens (Scheremetjevo 2) ist es drückend...es ist voll, viele Menschen, wenig Licht - die düsterliche Atmosphäre läßt im ersten Augenblick alles unübersichtlich erscheinen. So eine Unmenge Schalter...die "fremde" Schrift...erste Verwirrungen.
Wie am Morgen: man befindet sich in einer Art Schwebezustand; man ist real da, aber der Geist bzw. die Auffassungsgabe hat noch Schwierigkeiten mit der Umstzung...
Leichte Aufregung auch bei mir: na?! werde ich alles in die Reihe bekommen? Das Russisch liegt lange zurück. Meine Auffrischungsversuche sind kläglich am Arbeitspensum der letzten Wochen gescheitert.
Die Situation verlangt die Reiseleiterin von mir...So richtig professionell bin ich aber wahrlich nicht. Aufregung, Aufregung, datt mir blos keiner verlorengeht in dem Gewühle...Wir finden den Umtauschschalter für Bargeld..aber es gibt schlicht keine Rubel mehr. Das fängt ja schön an. Erste Rubel aus dem ec-Automaten, privat, besser als gar nix.
Schaffe es auch, den richtigen Schalter zu finden, der uns den kostenlosen Transfer organisiert ( von Aeroflot), erste Versuche mit dem Russischen, die Dame versteht mich sogar, Bus kommt in ´ner Viertelstunde...habe dann aber Mühe "meine Schäfchen" an den rechten Ort zu lotsen...aber alles wird gut!
Mit einem Kleinbus gehts zu Scheremetjevo 1...Erste Blicke auf russische "Landschaft"...Die Gegend sieht eigentümlich benutzt aus, Zäune, Betriebsgelände, verfallene Häuser, bröckelnde Farbe, ....und die Hitze macht uns schlapp... FOTO
In Moskau sind Einige sauer mit mir, weil ich ihnen den Abstecher in die Innenstadt verwehre. Aber die liegt zu weit entfernt und damit ist diese Unternehmung zu gefährlich; die Stadt ist riesengroß, die Meisten können keine kyrillsichen Buchstaben lesen, wir sind schlicht noch zu unerfahren....Also müssen alle wohl oder übel (!) in der nicht gerade gastlichen Eingangshalle von Scheremetjevo 1 die Zeit wartend vertun...viele Menschen mit viel Gepäck...keine richtigen Sitzplätze...es ist heiß, zu heiß, die Klamotten kleben auf der Haut... das alles ist der Laune nicht gerade zuträglich...warten...ich tausche Geld zu einem wohl nicht gerade blendenden Kurs, aber ich muß doch für uns alle für den Notfall etwas in der Tasche haben!
Meine Stimmung ist eigentümlich; aufgeregt, daß alles glatt geht, man nicht am falschen Schalter steht, etwas verpaßt zu tun, daß alle beisammen sind, daß alle einigermaßen gut gelaunt sind...
und nebenher die Eindrücke...soviel "Muchtliges", Verfallserscheinungen ehemals gediegener Einrichtungen....Erinnerungen an DDR-Zeiten steigen in Kopf und in der enger werdenden Kehle auf...
Ach, auch ich habe die von Hella eingehend beschriebene Koffereinpackmaschine sehen dürfen...heiter...da wird Reisegepäck mit Plastefolie umhüllt, wie ein schützender Kokon...man fragt sich, sind die Frachträume so mistig? vor Diebstahl kann das ja wohl nicht schützen wollen? ist es Schlechtwettervorsorge? ....
Der zweite Flug an diesem Tag beginnt schon abenteuerlicher...ein sehr alter IKARUS-Zieharmonika-Bus holt uns ab...auffällig viele Menschen mit riesigen Rosensträußen, bei denen die Blütenköpfe zum Schutz vor dem Aufblühen einzeln zusammengebunden sind...Die meisten russischen Frauen "zurechtgemacht", geschminkt, modisch gekleidet...Weiblichkeit betonend.
Auf dem Flugfeld Ärger wegen des Fotographierens...Marco und Ulrike (?) müssen ihre Filme herausholen, weil so ein "Hilftechniker" sie beim Akt des Fotographierens gesehen hat...Mist! Das Militär sitzt mit seinen Postsäcken auch im Flugzeug...und belegt justament Claudios und meinen Sitzplatz...wir werden "umgeschaufelt".....eigentlich bin ich müde, doch die Reiseaufregung hält wach; Gespräche bis Murmansk...habe aus dem Fenster Fotos gemacht...Seen im Gegenlicht silbern schimmernd...
Die Landung in Murmansk ist sanft...beim Aussteigen empfängt uns liebliche "Nachmittagssonne"...auch hier ist es warm...nix ist mit 12 Grad... Heiterkeit macht sich breit...auf dem vergleichsweise kleinen Rollfeld (DDR-Autobahn zustände) wird unsere Maschine sofort wieder betankt. Kaum aus dem Flugzeug ausgestiegen zünden sich einige Russen sofort die lang entbehrten Zigaretten an...neben den Schläuchen mit dem hochexplosiven Kerosin...ja, wir sind da, wir sind in Russland angekommen...
Die Empfangshalle für Ankommende (wüychod w gorod) hat einen dermaßen "ostzonalen Verfalls-Charme", daß ein leichter Druck im Brustraum, ein Ziehen ums Herze herum sich breit machen... alte Erinnerungen tauchen wie Inseln auf in einem wabernden Alltags-Nebel im Gegenwarts-West-Meer... FOTO
Die Gepäckabfertigung ist göttlich...Ach, man glaubt es kaum...(Quergedanken zum Film "Weiße Katze, schwarzer Kater")
Wir werden von einer Gruppe junger Leute abgeholt, Studenten, und von Dimitry (Katharinas Mann). Zum Transport stehen ein Kleinbus und ein PKW bereit...das Gepäck wird in beiden Wagen verstaut (wir glauben mit Mühe, nicht ahnend, daß es noch ganz anders gehen wird!)...ab geht´s in die Stadt; abenteuerliche Fahrt...Die Wagen sind alt und die Fahrer tollkühn...einigen ist mulmig um den Magen herum...
Bei mir gespannte Aufregung auf das, was da kommen mag. Bis zum letzten Augenblick hatten wir in Berlin auf ein Fax mit näheren Informationen zum bevorstehenden Programm, zur Unterbringung gewartet...vergeblich...also ist es eine Abenteuer- und Überraschungsreise im wahrsten Sinne des Wortes....
Aufregung....viel Natur...und dann so viele "Neu"-bauten. Gott, Miriam, was hattest du den erwartet!?! Aber eigentümlich ist es schon. Kleine Orte, kleine Städte nur aus Plattenbauten; keine alte Substanz.
Die desolate Finanzsituation von Land und Region macht sich an den Häuserfronten und beim Straßenbelag deutlich bemerkbar...wir hüpfen (verstärkt durch die rasante Fahrweise) von Schlagloch zu Schlagloch...
MURMANSK... breite Straßen und...auch Neubauten, aber höhere und viel, viel mehr. Hella und Angela hatten in den vorangegangenen Jahren mit ihren Reisegruppen im Hotel in der Stadtmitte gewohnt. Wo würden wir wohl unterkommen?
Die Ankunft vor unserer Unterbringung ist dann wieder ein kleiner Dämpfer für mich. Da ist es, das Studentenwohnheim. Ein großer grauer Plattenbaublock... Eingangstüren, deren herber Charme mich ersteinmal verstummen läßt. (düstere Stimmung, Hartfasertüren, abplatzende Farbe, ein Eingang wie zu einem Hinterhofverschlag) Die Aktion des Kofferauspackens gibt mir Zeit, mich zu sammeln. Man sollte halt keine Erwartungshaltungen haben, nie...sondern sollte frei und offen dem Kommenden entgegensehen...Das sage ich mir selbst; und es geht mir besser. Also, mit Neugier und heiter gespanntem Gesicht ab ins Domizil für fast zwei Wochen.
So eine Art "Zweckoptimismus" mit lächelndem Gesicht für die Gruppe habe ich mir vom ersten Tag an für unerwartete Schreckmomente zugelegt. Da ich selber oft nicht genau oder überhaupt nicht wußte, welcher Programmpunkt oder zu welcher Zeit er anliegt, bin ich während der Reise noch des öfteren überrascht worden!!
Unser Empfangskommité geleitet uns zu unseren Räumen.
Der Hauseingang...zwei aufeinanderfolgende Türen...wohl eine Wärme/Kälte-Schleuse, Betonhausflur und dann im ersten Stock die "Deschurnaja", welche aufpaßt, daß niemand falsches hereinkommt und nun uns die Schlüssel heraus gibt für unsere "Suite"... Das ist nur ein ganz klein bissel Ironie, denn was wir da in Besitz nehmen können, ist für russische Verhältnisse wirklich toll! Da wo sonst fünfzehn Studenten unterkommen müssen, können wir zehn Hanseln uns nun breit machen: nach der zentralen Eingangstür vom Treppenhaus aus, eröffnet sich uns ein ca. 20m langer Flur...davon gehen drei Wohnungen ab, mit jeweils zwei Zimmern (2-Bett- und 3-Bettzimmer), einer Küche, Klo und Bad....diese Menge an Räumen erlaubt uns den Luxus eines ausschließlichen Eßzimmers und Aufenthaltsraumes, und einer eigenen Wohnung für die vier Damen...
So viel Platz ist wirklich Luxus; aber wo viel Licht ist...also gibt´s gleich wieder einen Dämpfer. In Bad und WC gibts Ungeziefer. Hätte man ja ahnen können... bei Neubauten... Studentenwohnheimen... aber wenn man sie sieht, unverhofft, ist man doch überrumpelt von einem ersten kleinen Ekelgefühl... Kakerlaken. Mir hilft die alte Methode meines Vaters: genau und quasi wissenschaftlich objektiv betrachten, das Objekt des Ekels...und schon ist es nur ein Insekt, eine spezieller Käfer...Mistkäfer finde ich doch auch toll, interessant und nehme sie auf die Hand... also, betrachte ich die Kakerlaken als die eigentlichen Bewohner des Hauses, als die länger ansässigen; und so, als Hausgenossen, Zusammenwohnende auf Zeit, kann ich dann ihre Anwesenheit gut tolerieren.
Dimitry, Katharinas Mann, arbeitet auch im Kommite für Jugendfragen Murmansk, Abteilung Studentenangelegenheiten, Dimitry also gibt erste Eckpunkte für unseren Aufenthalt vor (Frühstück in Eigenregie) und erste Programmpunkte (erstmal Frischmachen und dann Abendbrot in einem nahegelegenen Restaurant).
Für das Frühstück der nächsten Tage sind in der Küche und im Kühlschrank Vorräte verstaut (nicht üppige Vielfalt, aber sehr gut gemeinte, üppige Mengen): ein ganzes Käserad von ca 40 cm Durchmesser und 15 cm Dicke, 3ine riesige Mortadellawurst, drei kleinere Würste so Typ Mett, Butter, drei Paletten Joghurt, Kaffee, Tee und für den Tee 2(!) Kilo Zucker... (Das erinnert mich an den Zuckerbedarf der russischen Reisegruppe in Berlin.)
Wir beginnen, unsere Sachen wenigstens teilweise auszupacken, eigentlich jedoch versuchen wirnur, unsere Koffer so vorsichtig wie möglich mit einer ruckartigen Bewegung aufzuklappen, um den ursprünglichen Packzustand so wenig wie möglich durcheinanderzubringen...
Der Weg zum nahegelegenen Restaurant "Schokoladnietza", macht uns die Lage des Wohnheims deutlich: Murmansk ist eine Hafenstadt deren Ausläufer sich jedoch hinaufziehen am Hang eines Berges...und das Studentenwohnheim gehört zu den höhergelegenen Häuserblocks. FOTO
Nach dem Essen sitzen wir noch daheim und unterhalten uns.
Ein Teil der Gruppe hat noch genügend Elan, um sich mit heiteren Gesellschaftsspielen näher zu kommen.
Ich gehe schon früher zu Bett. Kann noch nicht schlafen, aber ich muß diese Unmenge an Eindrücken erstmal wirken lassen, das Verarbeiten dürfte wohl noch längere Zeit dauern. Hinzu kommt die permanente Helligkeit, die weißen Nächte,... man kommt total durcheinander...

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