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"Volunteer - Youth - Online"- Reisebericht Murmansk | |||||||||
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Freitag, 21. Juli 2000 Der Wecker läutet um acht Uhr. Nach acht Stunden Schlaf bin ich jedoch noch immer müde. Diese Helligkeit macht mir zu schaffen...Aber die Pflicht ruft: um 10 Uhr sind wir zur offiziellen Begrüßung durch Fau Malyschewa ins Kommité für Jugendfragen eingeladen. Also keine Müdigkeit vorschützen, aufstehen, duschen... Ich gehe einkaufen; gut gesagt, aber wo? ...Ich laufe ersteinmal vom Wohnheim den Hang hinunter Richtung Stadtzentrum, das kann nicht falsch sein ... Die Menschen auf den Straßen erscheinen mir wir Anachronismen zwischen den grauen Neubauten und den verfallenden Gehwegen und Straßen... Die meisten sind gut bis extrem gut angezogen..die Frauen gut geschminkt. Auf meine etwas unbeholfenen Fragen, antwortet die erste Passantin recht unwirsch, sie habe keine Zeit für so etwas (!?!). Die nächste Angesprochene antwortet zwar auch nicht, weist mir mit einer schnellen Handbewegung dann aber wenigstens den Weg zum nächstgelegenen Magasin, wo ich frische Milch bekommen kann. Na, bitte. Reicht mir doch völlig. An den Gehwegen stehen kleiner "Container", Buden, Häuschen aus Blech, in welchen man Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs erwerben kann...Brot, Getränke, Snacks, Zigaretten, Bier...Dann finde ich endlich das "magasin 24". Der Laden ist leer; keine Kundschaft um 8 Uhr morgens. Das Angebot an Trockenwaren, Dosen und Tiefgefrorenem ist gut. Nur mit dem Obst und Gemüse sieht es oberhalb des Polarkreises naturgegebenermaßen etwas mau aus... Ich hole Milch, ein paar Tomaten und Gurken. Unweit des Ladens stehen Grüppchen trinkender, palavernder Männer... Jedoch nicht so heruntergekommene Gestalten, wie wir es von zu Hause kennen. Als ich an einer der Buden frische Brötchen kaufen will, werde ich von einem Mann angesprochen. Ich verstehe nicht; denke, er will betteln ...aber er lehnt das angebotene Kleingeld ab. Er gestikuliert... Er hat schlicht und ergreifend Hunger. Kaufe ihm die gewünschte Suppe zum Warmmachen und Brötchen dazu... Bin etwas verdattert, daß ist man von daheim nicht gewohnt. Dort wird man angeschnauzt, wenn man den Bettelnden wirklich etwas zu essen anbietet. Scheißspiel! Man ist eigentlich selber ein "armes Schwein" in Bezug auf deutsche Verhältnisse...aber hier kann man sehen, wie wirklicher Mangel aussehen kann... (im weitesten Sinne) Gut. Nun also den Hang wieder hoch... Beim "Aufstieg" fallen mir Hellas Reisebeschrei-bungen ein: daß es in Murmansk doch arme Wesen gäbe, welche oberhalb des Zentrums in Häusern am Hang wohnen würden; Gott, was hätten die für Wege zurückzulegen ... Zu diesen Wesen gehören nun auch wir. Auf- und Abstiege gehören mehrmals täglich zu unserem Los... Treppen...Serpentinenstraßen ... Bewunderungswürdig, wie die Einheimischen Abkürzungen steilan oder steil bergab meistern...besonders die Frauen in hohen Schuhen... Ich breche mir trotz Wanderschuhen fast die Haxen. Bei den Frühstücksvorbereitungen stelle ich entsetzt fest, daß in drei Wohnungen nur zwei Messer existieren. Auf Nachfrage bei der Deschurnaja erhalten wir noch drei weitere. Zusammen mit zwei Taschenmessern von uns sind wir mit sieben Messern doch recht gut bestückt. Zum Joghurt gibts Suppenlöffel... Camper-Atmosphäre macht sich breit... Sehr heiter. Schwer ist es nur die "Bande" aus den Federn und an den Tisch zu bekommen... Trotz terminlicher, zeitlicher Absprache dauert es seine Zeit, bis wir im Kommité anlangen. Wir wurden von den Studenten, welche uns bereits am Vortag begrüßt hatten, abgeholt und zum Kommité geleitet. Dort treffen wir dann auf Frau Nadjeschda Malyschewa, die stellvertretende Leiterin des Kommites für Jugendfragen der Region Murmansk. Wir werden ganz offiziell willkommen geheißen. Und auch wir übermitteln artig unser offizielles Dankeschön für die Einladung . Die Teilnehmer der Gruppe stellen sich vor. Es erscheint eine junge Radioreporterin und interviewt uns für einen kleinen Bericht zu unseren Beweggründen für diese Reise. Ein paar Antworten müssen schnell abgebogen werden, bevor sie übersetzt werden können; bestimmte Begriffe könnten vielleicht doch einen falschen Beigeschmack hier vor Ort haben... " Ich hoffe, wir müssen hier nicht wie im Arbeitslager(!) schuften." Ging aber alles glatt. Alle schienen zufrieden, mit den freundlichen Deutschen. Und endlich erscheint ein Programm. Ach, was kümmerts mich, das es nur eins ist und dann auch nur in Russisch... Macht nix; aber ein richtiges Programm, nach welchem man sich richten kann! (denke ich da noch in meiner kindlichen Naivität)... Schaue es mir an...gut, daß mein Russisch nicht total eingestaubt ist! Lese "rabota" -Arbeit-, welche?: Hier heißt es noch Bäume pflanzen..."Otjesd na turbasu" -Abfahrt in eine Art Ferienlager? Und wo bleibt unsere Fahrt nach Apatity? Nicht vorgesehen?!! ... Wenn wir denn schon Bemerkungen zum Plan machen dürfen, erbitten wir uns an dieser Stelle eine Änderung. In Berlin hatten wir mit den russischen Partnern besprochen, daß wir uns ihre Heimat, ihre Städte ansehen wollten, wenn wir in die Murmansk-Region kommen. Unser Wunsch wird mit Vorbehalt aufgenommen. Aber man will sich kümmern. Ich verabrede mich mit Frau Malyschewa zu weiteren Gesprächen, an den kommenden Tagen. Im Programm steht für diesen Vormittag eine kleine Exkursion durch die Stadt.... Machen wir auch, aber mit dem Ziel eine Bank zu finden, welche D-Mark / Dollar tauscht und nach einer Telefonmöglichkeit. Der Blick schweift also nicht ganz so locker und leicht. Nach mehreren vergeblichen Anläufen werden wir dann endlich ziemlich am Ende des Lenin-Prospekts in einer Bank fündig. Die Tauschwilligen ziehen sich auch ordnungsgemäß eine Nummer, aber dann dauert es doch noch erhebliche Zeit... es ist heiß! und alle sind leicht genervt. (Für Murmansker Verhältnisse ist es unanständig heiß, ca. 22-24 °C) Danach gehts den Lenin-Prospekt wieder zurück; wir schauen uns die Straßenzüge, die Läden an FOTO.... und suchen nach einer Telefonmöglichkeit. Alles gar nicht so einfach. Finden dann eine extra "Telefon-Station", wo man handvermittelt oder mit Karte auch ins Ausland telefonieren kann. Vom Wohnheim aus geht das nicht, und von den normalen Telefonzellen aus auch nicht.... Melde mich kurz zu Haus und im Rabenhaus. Mitagessen gibt es in einer Kantine (des Kommités; jedenfalls war esdort in der Nähe) Der WEg dorthin war ein Erlebnis... Schutthalden, verrrostenden Metallgestelle, ein nur halbfertig gebautes Haus... solche "Investruinen" werden wir noch öfters zu sehen bekommen - hier ist dann der Stadt oder dem Staat, beim Bauen das Geld ausgegangen. Diese Bauruinen stehen demonstrativ, mahnend ... Und dann überall vermeidbarer Müll. Jedenfalls erscheint er mir vermeidbar bzw.noch im Nachhinein zu beseitigen... Warum tut man da nichts für ein saubereres Stadtbild. Ist das Unachtsamkeit, Geldmangel oder ist einfach eine schleichende Gewöhnung eingetreten an das vorhandene Bild?? Der Mittagstisch in der Kantine ist bereits gedeckt... mit Kerzen...man macht sich sichtlich Mühe mit/ für uns... Nach dem Essen gehen wir kurz nach Haus, ins Wohnheim. Nachmittags gehts zum "Morskoje Woksal" zum "Meeresbahnhof" unten am Hafen. Wir wollen eine Kuttertour machen in den Flußlauf bzw. in die Bucht hinein. Bis zur Abfahrt bleibt uns noch ein bissel Zeit. Wir warten. FOTO Der Blick ins Hafenbecken an die Uferbefestigung zeugt von unglaublich schmutzigem Wasser. Die Steine sind total schwarz: verölt. .... Wir gehen auf´s Boot, es legt ab und wir können sehen, wie die Stadt vom Wasser aussieht. Es ist beeindruckend. Der Kutter legt am gegenüberliegenden Ufer an und setzt einige wenige Einheimische ab... wie sich herausstellt, ist dies nur die direkte Fährverbindung... nicht die Fahrt in die Bucht... Uns ist das egal, wir betrachten die kleinen Siedlungen am gegenüberliegenden Ufer nun von der Nähe... Schauen auf die Stadt, den Hafen, die Docks, die großen Schiffe .... die Schiffsruinen am Ufer... FOTO Dem armen Dimitry ist die Verwechslung ganz schrecklich peinlich. Aber wir genießen die Tour auf dem Wasser, versuchen ihn zu besänftigen. Nicht so recht erfolgreich. Wieder an Land kehren wir im "Bahnhofsgebäude" in ein Lokal /Restaurant ein, trinken einen Kaffee, Tee, Schokolade ( welche sich als eine Art Pudding entpuppt, nicht flüssig, aber lecker). Die Reise sitzt uns in den Knochen. Eine kleine Müdigkeitswelle erfaßt uns. Im Lokal fällt neben dem angenehmen Ambiente die räumliche "Abriegelung" nach außen hin auf... Der Blick durch die Fenster wird durch Jalousien verwehrt. Danach gehts zum Abendessen wieder ins "Schokoladnietza". Der Barmann (Besitzer?) stellt uns heute als Begrüßungs und Willkommensgruß eine 1 Liter-Flasche Wodka "Stolitschnaja" auf den Tisch... Mit "sto gramm" Gläsern Wodka und vielen gegenseitigen Trinkspüchen ölen wir die Kehlen und die grauen Zellen... Die folgenden Gespräche sind intensiv bis ausgelassen. Das Programm sieht einen Discobesuch vor...und so soll es geschehen. Nur ein bissel ungünstig, daß es gleich vom Restaurant losgehen soll; das bedeutet, wir haben keine Möglichkeit, uns nochmal umzuziehen und frisch zu machen... Watt solls... Marco, Dennis und Frank möchten lieber nicht mitkommen in die Disko und gehen ins Wohnheim. Der Rest macht sich in ortskundiger Begleitung von Dimitry, Schenja, Natascha und Ivan auf zur Disco. Das eigentlich angestrebte Etablissement ist geschlossen, oder uns nicht zugänglich?... Jedenfalls ziehen wir weiter... Die nächste Discothek wird von einer kleinen Abordnung vorinspiziert, und für O.K. befunden... also, ab in den 8.Stock...vorbei an martialischen Einlassern und Security-Typen... Noch ost alles relativ leer. Wir nehmen uns einen Tisch, bestellen Wodka und Cola (man soll sich ja treu bleiben...). Wir sind auf den Geschmack gebracht worden ( und werden auch weiterhin für die Zeit des Russlandaufenthaltes dabei bleiben; aus Geschmacks- aber vor allem aus Kostengründen; Wein ist nicht erschwinglich) Die Musikzusammenstellung ist ungewohnt; man muß sich hineinhören... warmtanzen... und zum Tanzen sind wir ja gekommen. Erstaunlich viele Titel sind russischer Herkunft. An der ausgelassenen Stimmung, am allgemeinen Mitsingen der Texte kann man die Akzeptanz der eigenen Musik gegenüber erkennen. Keine Übermacht der Ami´s bzw. der englischsprechenden Musikwelt. Ach, ich tanze so viel und ausgelassen wie lange nicht; auch wenn die Musik eigentlich nicht unbedingt mein Geschmack ist....Dimitry ist ein guter und ausdauernder Tänzer... Aber nicht alle tanzen und irgendwann sind wir alle mehr oder minder knülle&müde...Als wir gehen ist Tommy ganz schön "im Tee" und wir geraten leicht aneinander... Aber nix ernstes. Um drei Uhr morgens verlassen wir dunkle Disco und stehen plötzlich auf der Straße... im Hellen!!! Zwar steht die Sonne nicht hoch am Himmel... aber es ist hell, richtig hell.. nicht Morgendämmerung oder so... nein, hell....Gott, wir kommen völlig durcheinander mit den Tageszeiten... ausgelassen wie die Kinder trollen wir uns nach Hause, Büchsen kickend, singend, tanzend... FOTO Der unermüdliche (!) Dimitry geleitet uns noch bis ins Wohnheim, an der gestrengen Deschurnaja vorbei, welche wir ja leider wecken müssen, zum Öffnen der Haustür... Unser Dank ist ihm gewiß!! Das Gefühl für die Tageszeit geht einem bei dieser Sonne, dieser Helligkeit total verloren. Heimatliche Richtwerte, verbindungen von Sonnenstand/ Helligkeit und Tageszeit, sind hier ungültig und werden doch, fälschlicherweise, aus Gewohnheit angewandt... und ehe man es sich versieht, ist es während eines netten Abendgesprächs "plötzlich" drei,vier Uhr morgens geworden... ![]() |
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Projektbeschreibung | |||||||||
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