"Volunteer - Youth - Online"- Reisebericht Murmansk
Freitag, 28. Juli 2000
Nach ziemlich verkatertem Frühstück bei vielen - schaffen wir es doch recht pünktlich unten am Bus zu sein! Der Kleinbus nötigt uns einiges Pack- und Stapeltalent ab. Aber irgendwann sind alle Koffer und auch wir verstaut. Es geht los, Richtung Apatity!! Eigentlich würde ich am Liebsten sofort umsinken und schlafen... aber man will ja schließlich ´n bissel Landschaft sehen, dafür war man doch auch gekommen. Wir fahren am "bolschoje osero" vorbei... dann durch viel Wald... nicht so hoch wie daheim... Schlafe ein... Die Anderen wecken mich - es ist erschreckend eindrucksvoll, was sich meinen verschlafenen Augen da bietet... so weit man blicken kann, tote Landschaft... Wie mahnende Ausrufungszeichen ragen aschgraue Baumstammreste gen Himmel, keine Büsche, keine Gräser... nur Moose und Flechten.... wer weiß, ob die nicht auch schon längst trocken und tot sind... sieht man vom Bus aus ja nicht. Die Seen und Lachen sind milchig grünlich-bläulich getönt. Und ganz im Hintergrund taucht plötzlich eine Mischung aus Fabrikgebäuden, Schornsteinen und Wohnhäusern auf... (Oh! Gott! Warum hast Du sie verlassen! - möchte man da in Abwandlung fast weinend rufen. Hier bleiben einem viele Worte im Halse stecken!!) ... Und im Sonnenschein erglänzt plötzlich über allem, zwischen all dem, eine goldene Zwiebelkuppel... Kirche oder Kulturpalast? Wohl eher erstere, die hat für Blattgold vielleicht inzwischen schon wieder das Geld.) Die Fahrt durch totes Gebiet dauert bedrückend lange an... Nicht nur ich werde mir Gedanken gemacht haben, wie es wohl in Apatity aussehen mag.... wie lang es noch bis dorthin ist; ...von hier aus. Und welche Auswirkungen es geben könnte, von hier bis dort?... Wir fahren dann noch rechtschaffen lang genug durch langsam aber stetig üppiger werdende Natur - das besänftigt das Gemüt... Dann plötzlich ein großer, ....ein riesiger See! Die andächtigen Blicke in die Ferne werden durch plötzlich einsetzenden ohrenbetäubenden Lärm, sowie leichte Schlingerbewegungen des überladenen Busses schlagartig auf die in Rekonstruktion befindliche Straße gelenkt.... Der Bus kämpft sich mit übervoller Ladung und Höchstgeschwindigkeit durch das tiefe Schotterbett.... Vor meinem inneren Auge spielen sich schon Horrorszenarien ab!!... Stehenbleiben, ja Umkippen des Wagens... total zerschunden mit Koffern auf Schotterstraße per Anhalter ... Aber alles geht glatt. Unter Aufatmen fahren wir auf die frisch asphaltierte Straße auf... Gute drei Stunden später (waren das wirklich nur drei Stunden) landen wir in Apatity an! Besonders irritierend für alle ( meinen Gemütszustand lasssen wir mal lieber außer acht) die Frage des Fahrers, wo wie denn hin wollten?, wo er den halten solle?.... "Zentrum!!?!" vermute ich erstmal.... und dann "Hotel?!?" ... Der Fahrer fährt langsamer...aber, Gott sei Dank!!... da sehen wir schon Sergej!! Den "kleinen" Sergej, den Stern in der Not!... Der Bus hält direkt vor dem Hotel! Wir werden allerherzlichst begrüßt von Tatjana und ihrer Kollegin Marina... wir sind noch gar nicht richtig drin im Hotel ... Eile, Eile ... (Oh je, auch hier?!) ...weil zum Essen geblasen wird; denn hinter gibt´s Programm (Besuch in der Versuchsstation des Botanischen Gartens Kirowsk)... und da wartet dann ein Bus auf uns... Wenn nicht diese Hast wäre, könnte man sich ungeteilt und in Ruhe über das Angekommen-Sein freuen, könnt sich in Ruhe auf die neue Stadt einstellen... aber watt nich is, is nich! Wir bekommen fünf Zwei-Bett-Zimmer im Hotel "Amethyst". Irgendwie hatte ich für uns alle auf Ein-Bett-Zimmer gehofft. Wie konnte ich nur auf so abwegige Gedanken kommen...? Zu den Zwei-Bett-Zimmern kommt ihre Lage im vierten Stock hinzu und... der Lift funktioniert nicht... Also, ersteinmal alle hoch. Mit gutem Beispiel voran; nein, unsere Koffer sind nicht schwer. Neue Zimmergesellschaftskombinationen ergeben sich zum Teil... Ich wieder mit Maria zusammen. Tatjana entschuldigt sich, es täte ihr leid, aber das Hotelrestaurant ist geschlossen... und es würde uns doch nichts ausmachen, Frühstück und Abendbrot selber herzurichten??! Sie besorgt uns gleich die "Assessoirs". Was möchten wir denn? .... (Gott sei Dank hatte ich im Hochgehen bereits eine Art Etagenfoyer mit Couch und flachem Tisch gesehen... ja, denke ich, da können wir gut frühstücken... es wird immer besser...) Ich gebe unseren Wunschzettel fürs Essen auf und schon schießen die beiden Frauen los zum Einkaufen.... Aber da ist noch die Sache mit Dennis´ Schuhen... Bereits in Murmansk hatten sie ihn zum Alleinwohnen genötigt. Hier geht das jetzt nicht. Tommy nimmt ersteinmal das Kreuz auf sich, ohne zu murren (Ich rechne es ihm hoch an)... aber als ich nur am Zimmer vorbeigehe kommt mir eine dermaßene Duftwolke entgegen... Hier könnte und würde ich es nicht aushalten, wie sollte ich es jemand anderem da abverlangen... Tommy hatte sich auch ziemlich erblast bei Marco und Claudio niedergelassen, war todmüde in eines der Betten gesunken und war nicht zu bewegen, wieder aufzustehen... Also, entschließe ich mich, noch ein Einzelzimmer zu ordern. Daraufhin wird umsortiert: Thomas zu Maria, Claudio zu Frank, Tommy bleibt bei Marco. So können Tommy und Frank nicht aneinander geraten. Dennis muß allein bleiben... Ach ja, und für mich auch ein Einzelzimmer, ein bissel allein sein... nichts gegen die Leutchen, aber als alte Einzelgängerin... Nur mit dem Frischmachen habe ich anfänglich so meine Schwierigkeiten... Aber man gewöhnt sich ja an vieles... Meine erste Erfrischungsdusche beschert mir eine ziemliche Überraschung... ´ne lange Busfahrt mit staubigen Passagen hatten wir hinter uns... da erwartet man schon einigen Schmutz... aber sooo dreckig kann ich gar nicht gewesen sein, wie das Wasser da schwarz in den Abfluß strudelt... nach einem ersten Schreck und einem Auf- und Abblicken am eigenen Körper entlang - nein, der Dreck kann nicht von mir kommen! Also, Blick zur Dusche... ja, was da herauskommt hat die Farbe von verdünnter Ausziehtusche... ab und an ein bissel Stückgut... mit etwas Geduld bekomme ich die Intervalle heraus, in welchen fast klares Wasser aus der Dusche perlt... und mit etwas Ausdauer kann ich zu Ende duschen! Anschließend mache ich für die Gruppe ein paar Farbspielvorführungen... Das hat man nun davon; nur im Einzelzimmer gibt es dieses besondere Etwas! Der Kommentar der Menschen an der Rezeption besteht in interessierten Nachfragen... ob es den Kalt- oder Warmwasserhahn beträfe, ob die Farbspiele nur beim Regulieren aufträten... und auf meine Frage, ob man dem Ganzen denn abhelfen könne... Hm!! Nicht so viel Regulieren!! dann geht´s! Inzwischen hat Tatjana Nahrungsmittel für Frühstück und Abendbrot gekauft und bringt einen Karton in mein Zimmer mit Käse, Wurst, Milch, Brot, Margarine, Tee und Joghurt... alles in guten Mengen. Toll. Ja, schaue ich sie an - nur womit sollen wir das essen? Wir haben nur zwei Taschenmesser in der Gruppe. "chwatiet!?!" - entgegnet mit einem entwaffnenden Lächeln Tatjana. Hm, aber Tassen für den Tee und Löffel für den Joghurt und etwas womit man den Tee kochen kann?? Oder heißes Wasser für die Beutel wäre schon irgendwie cool?!? Also, schießt Tatjananochmals los, bringt Gläser und Löffel und zwei Messer (na, immerhin, wer sagt´s denn) und einen elektrischen Wasserkocher in Form einer Kanne mit Tülle... Was will man mehr?! Nun ist ist alles klar und es kann losgehen in´s Restaurant. Das Innere des von außen unscheinbaren Flachbaus überrascht uns. Nobel, nobel. Wir werden in einen kleinen Seitenraum geführt, dort ist bereits für uns gedeckt, sehr gediegen! (Wie wir später erfahren, hat man uns ins beste Lokal am Orte geführt. Hach, so viel Ehre! Andererseits frage ich mich, wie das mit den knappen Finanzmittel zu vereinbaren ist? Oder welche Beziehungsgeflechte da eine Rolle spielen?) Leider nur müssen wir uns wieder beeilen weil der Bus vor dem Restuarant wartet, welcher uns zum nächsten Programmteil bringt - damit hatten wir nicht gerechnet und so haben wir nicht die Möglichkeit, nochmal im Hotel andere Sachen anzuziehen, etc pp. ... Nach einem wundervollen, aber leider zu kurzen Mahl steigen wir in einen wundervollen Bus. Es ist ein Kras Model, d.h. das Kabinenteil ist direkt auf ein Lastwagengestell montiert, dem entsprechend ist die Federung... Im Inneren liegen sich zwei Sitzreihen in Fahrtrichtung gegenüber - in altbekanntem dunkelbrauenem Kunstleder.. ach, da kommen alte Osterinnerungen auf! (als ginge es einem Arbeitseinsatz entgegen). ... Und so hoppeln wir dann dem botanischen Garten entgegen. Die Deutschen sind mal wieder zu langsam gewesen.... unsere Ankunft ist leicht verspätet. Aber dennoch begrüßt uns eine Mitarbeiterin des Botanischen Gartens sehr freundlich auf Englisch... ich versuche recht holpernd, ihre einleitenden Worte zu übersetzen: Flächenmaße und Breitengrad des Gartens... neben einem weiteren in Tromsö in Norwegen, ist dies der nördlichst gelegene (über dem Polarkreis) botanische Garten der Erde... Hier vor Apatity liegt die Versuchsstation, die wissenschaftliche Zweigstelle, des eigentlich in Kirowsk beheimateten Gartens. Interessant für die Wissenschaftler sind die durch den Höhenunterschied bedingten unterschiedlichen klimatischen Bedingungen der beiden Areale. Der Hauptgarten in Kirowsk liegt wesentlich höher (über dem Meeresspiegel). Dem Versuchsgarten sind durch seine niedrigere Lage zwei Wochen eher der Frühlingsanfang und zwei Wochen später der Winteranfang, somit ein ganzer Monat mehr Vegetationsperiode, vergönnt. In der Zweigstelle versucht man, nicht nur Pflanzen aus anderen klimatischen Zonen Russlands, sondern der ganzen Erde hier anzusiedeln und für die nördliche Region zu kultivieren. Man hofft auf diesem Wege, die heimatliche Vegatation, die Nahrungsmittel produzierende Pflanzenvielfalt sowie den Artenreichtum von Kulturpflanzen zur Stadtbegrünung bereichern zu können. Man hofft auf vitaminreiche Beerenfrüchte, witterungsbeständige Büsche und Bäume... Die nach diesen einleitenden Worten beginnende Führung durch´s Gelände wird erheblich getrübt... Bereits die Einführung konnte nicht von allen in Ruhe gehört und genossen werden, da die bereits in Berlin und Murmansk für Apatity avisierten Moskitos zeigten, was ein echter Kola-Mücken-Stachel so kann... Meine Mannschaftsbestände `Autan´ lagerten natürlich sicher im Hotelzimmer. Nebenher erfahren wir von der Biologin, daß die Arbeit hier mit viel Enthusiasmus zu tun hat... Es ist eine zeitintensive Arbeit. Das wäre nicht das Schlimmste, wenn denn die Bezahlung ein Äquivalent bieten würde. Weit gefehlt. Die Bezahlung ist nicht besonders und wie schon des öfteren wartet die Belegschaft seit mehreren Wochen auf den Lohn... Die Russen sind Lebens- und Überlebenskünstler!!! Meine Frage: Wie man denn ohne Geld mit der Familie überleben kann? - wird mit einem Lächeln beantwortet... Es muß eben gehen! Ich staune immer wieder! Ach, wie würden unsere "Eingruppierungs-" und anderen Dauerjammerer hiermit fertig werden??? Den lehrreichen Worten unserer versierten Führerin konnte dann im Innern des Waldes so gut wie keiner mehr folgen... Schade irgendwie, denn es war ein interessantes Gelände und eine tolle Fachfrau als Führung!! Aber bei diesen hartnäckigen, allseitigen Moskitoangriffen half nichts. ... Auch meine demonstrativ zur Schau getragene Stoik konnte nicht überspringen. Letztlich waren nicht mehr viele bis zum Schluß übrig. Die am meisten Gebeutelten waren mit Tatjana in ihrem PKW vorgefahren, geflüchtet... Das kleine Häufchen "moskito-gestählter Helden" wanderte per pedes zur nächstgelegenen Bushaltestelle.... kurz bevor wir sie erreichten sahen wir die Rücklichter unseres Busses. Aber soetwas macht uns ja schon lange nichts mehr... Marina kauft für uns Ausgesaugten und Ausgedörrten ( denn die Hitzewelle war mit uns mitgerollt!) eine Art Kwas "light" ... schmeckt ein bissel wie Berliner Weiße, ein bissel.... Dann kann sie in ihrer charmanten Art einen Busfahrer überreden, seine Route uns zuliebe am Hotel entlang umzuleiten!! Ach, endlich wieder am Hotel. Nach dem botanischen Garten verabreden wir ein Treffen mit Tatjana, Sergej und Marina für einen ersten kleinen Stadtrundgang. Außerdem sollen wir uns die Discotheken ansehen, in welche wir denn heute abend gehen wollten.... Leider müssen sich die meisten ersteinmal ausgiebig ausruhen, so ist das Grüppchen Flanierwilliger recht klein... Die erste Lokalität liegt schräg gegenüber von unserem Hotel... nicht schlecht, hier gibt es zwei Räume: einen großen Saal, wo getanzt wird, und eine kleineren mit Bar und Tischen, wo die Lautstärke erträglich ist und man reden kann. Nach der "Kinderdisco" bis 22 Uhr fängt hier aber das Leben erst wieder um 23 Uhr an... (Diese Zeiten, ich bin das nicht mehr gewohnt...) Wir laufen weiter durch die Stadt. Apatity ist eine junge Stadt, erst 33 Jahre alt. Wir werden in den ältesten Teil der Stadt geführt, hier stehen die frühen Institutsgebäude, einstöckige Holzhäuser umgeben von Wiesen und Bäumen. Hier stehen als besonders hervorgehobene Besonderheit Apfelbäume, Welche auch wirklich blühen!!! Das mit den Früchten schaffen die hier oben in der kurzen Wachstumsperiode nicht. .... Im Park setzen wir uns kurz zusammen, stoßen an mit Tatjana und Marina; fröhlich, daß doch noch alles geklappt hat! Alle anderen Gebäude sind wie in Murmansk Neubauten, Plattenbauten; nur halt nicht ganz so hoch. Dennoch haben die Straßen für eine kleinere Stadt erstaunliche Dimensionen, breite Alleen mit Bäumen... die Stadt hat einen angenehmes, ruhigeres Flair.... Nach dem Spaziergang komme auch endlich dazu, etwas auszuruhen. Abends machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach einer allen genehmen Discothek. (Außer Marco, Dennis und Frank) .. etliche der Etablissements sind noch zu... Ich bin erstaunt, wieviele Bars und Discotheken es in dieser 60.000 Seelenstadt gibt - nicht schlecht. Außerdem gibt es eine große Bibliothek nebst Heimatmuseum und einen Sportpalast von ansehnlicher Größer! Das Kino hat leider letztens geschlossen. Ein Theater gibt es nicht. Videotheken? Gibt es sicher, habe ich nur nicht gesehen. Die Läden sind hier meist nicht an ihren großen Glasscheiben zu erkennen. Oft verweisen nur kleine Schilder darauf, daß hinter scheinmbar normalen Eingangstüren sich Geschäfte verbergen. ... Ich kann mich nicht wehren, aber es kommt so ein beklemmendes Gefühl von "Brot und Spiele für die im hohen Norden schuftenden Werktätigen" bei mir auf, wenn ich mir die vielen Bars & Disco´s vergegenwärtige. ... Die arbeitslos Gewordenen der inzwischen geschlossenen Werksteile können sich solche im Verhältnis teuren Vergnügen ja wohl nicht leisten. Wir landen letztlich in der Discothek "Alisa", im Kulturhaus der Bauarbeiter "dom kulturüi stroitely". Es gibt hier eine amüsante Bar vor dem "Tanzsaal". Ulrike und Jule gehen relativ früh. Tommy ? Thomas und Maria bleiben bis um 1 Uhr. Claudio und ich bleiben etwas länger. Claudio ist umringt von russischen jungen Frauen, welche ihn wechselweise auf die Tanzfläche entführen. Er avanciert zu "Mr. Apatity" - so umschwärmt und begehrt ist er. Ich habe auch so einen kleinen Kreis "Verehrer", mag aber nicht mit ihnen tanzen, will eigentlich nur sitzen und beobachten, doch dazu komme ich leider nicht. So muß ich mich denn unterhalten und trinke still dazu vor mich hin. Zum Schluß muß ich Claudio in meiner Rolle als Reiseleiterin vor seinen Angebeteten schützen; mir ist´s inzwischen auch zuviel geworden und so trollen wir uns dann nach Hause. Daheim kann ich mich leider nicht mehr mit Claudio unterhalten, "metatch farsch" treibt mich ins Bad. Ach, peinlich, peinlich... aber ich hätte nicht NOCH eine Wodkacola trinken sollen.... Die Konversation ist leider vorbei... Dafür komme ich dann früher ins Bett...
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